IN MEMORIAM… Sand Creek – 29.11.1864

„Cheyenne nightmare“, Abtönfarbe, Silikon und Messing auf Holz, Heiko Janssen, Janne Meyer, Ida Frerichs, Rieke Wöbse 2019 

Im Morgengrauen des 29.11.1864 überfielen Colorado-Milizionäre unter Colonel John Chivington das friedliche Winterlager des Cheyenne „Black Kettle“ am Sand Creek im östlichen Territorium Colorados. Vorausgegangen waren territoriale Unstimmigkeiten zwischen den Plains-Nomaden und den expandierenden USA. Als Ureinwohner des Landes in die militärische Defensive gedrängt, blieb den südlichen Cheyenne nur der Weg der Unterordnung, was gerade die Jüngeren unter den Kriegern deprimierte. „Black Kettle“ galt jedoch als besonnen und hielt den Frieden trotz zahlreicher blutiger Übergriffe durch die US-Amerikaner. Sein Lager, in dem Hunger herrschte und dessen Männer sich größtenteils auf der Jagd befanden, beherbergte etwa 750 Menschen – überwiegend Frauen, Kinder und Alte. Die meisten unter ihnen schliefen noch, als der Alptraum unter dem Sternenbanner über sie hereinbrach…

„TOT“, Foto und Filzstift, Sarah Boginski 2019  

Direkt nach den ersten Schüssen versammelten sich viele Cheyenne unbewaffnet am Tipi des charismatischen „Black Kettle“, der neben seiner amerikanischen Flagge auch ein weißes Friedensbanner gehisst hatte. Trotz eindeutiger Kapitulationsgesten nahm der Blutrausch der Miliz seinen Lauf: Der verheerende Angriff auf die völlig überraschten und wehrlosen Cheyenne  kostete mehr als 230 Menschenleben auf Seiten der Natives und führte zur vollständigen Zerstörung des Lagers, nebst Proviant und Pferden. Im Laufe der etwa achtstündigen militärischen Aktion wurden zahllose Frauen und Mädchen vergewaltigt und getötet. Als Triumphzeichen schnitten die Milizionäre den weiblichen Opfern die Brüste und Vaginen aus dem Leib, um sie auf Bajonette aufgepflanzt präsentieren zu können. Nachdem den Cheyenne klar war, dass der brutale Überfall zu ihrer totalen Vernichtung führen sollte, flohen sie in kleinen Gruppen – zum Teil halbnackt - in die eisigen Plains. Wie viele von ihnen auf der Flucht starben, ist nicht bekannt. Die Überlebenden fanden Aufnahme in anderen Cheyenne-Lagern und berichteten von dem Inferno am Sand Creek. Gemäß dem Ethos dieses Volkes, teilte man, was man besaß, um die Hungernden und Frierenden zu versorgen. 

 „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, Foto und Filzstift, Isabell Reichle 2019 

Die Nachricht vom Massaker am Sand Creek wurde in den USA sehr ambivalent aufgenommen. Während die Staaten und Territorien des Westens den „Sieg über die Wilden“ feierten, machte sich in Neuengland Entsetzen breit. Doch trotz eines Militärgerichtsverfahrens gegen Chivington kam es zu keiner offiziellen Verurteilung. Der verehrte Bürgerkriegsveteran behielt auch nach dem planmäßigen Ausscheiden aus dem Militärdienst seine Reputation. Besonders prekär ist bis heute die Rolle Chivingtons im Kontext seiner zivilen Ämter. So war der Frauenschlächter vom Sand Creek überzeugter Methodist und Prediger seiner Kirche. Nach ihm wurden Straßen und sogar eine Ortschaft benannt! Chivington, der seine Taten in voller Überzeugung im Einklang mit seinen christlichen Prinzipien wähnte, ist bis heute ein Beispiel verbrecherischer Kohärenz von Kirche und Militär. Gerade den amerikanischen Methodisten war die Mission der Natives und damit die Verbreitung des Wort Gottes unter ihren Völkern sehr wichtig. Aus diesem Grund bleibt der barbarische Massenmord durch einen führenden Vertreter dieser christlichen Glaubensgemeinschaft bis heute verstörend und unentschuldbar. Die amerikanische Geschichtsschreibung tat sich darüber hinaus in der Vergangenheit schwer, das Massaker als solches zu benennen. Im Denken vieler US-Amerikaner blieben die Natives bis weit ins 20. Jahrhundert Menschen zweiter Klasse. Sie waren der Expansion der jungen Nation schlicht im Weg und wurden oft wie Raubtiere behandelt. Man pferchte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Völker des amerikanischen Westens in s. g. Reservationen, um sie angeblich vor dem Landhunger der Siedler zu schützen. Tatsächlich handelte es sich bei den Reservationsländereien um landwirtschaftlich minderwertige Flächen, die den hier Eingesperrten keine Möglichkeit zur Selbstversorgung gaben. Besiegt, unterdrückt und ohne Aussicht auf Besserung verfielen Unzählige unter den Natives dem Alkohol. Ihr Bild in der Öffentlichkeit wurde dadurch noch desaströser, so dass die „Weißen“ sie als minderwertig ansahen. Es dauerte bis 2007, bis eine Gedenkstätte nebst Erinnerungstafel am Ort des Geschehens eingeweiht werden und dem „National Park Service“ unterstellt werden konnte. Trotz dieser Geste bleibt der Umgang mit diesem und ähnlichen Massakern schwierig. Es herrscht oftmals noch die sozialdarwinistische Meinung, die Natives wären zu Recht verdrängt worden und hätten sich vollständig und bedingungslos dem amerikanischen „mainstream“ einzugliedern und ihre Sonderrolle aufzugeben.

„Alle Menschen sind gleich“, Foto und Filzstift, Pinja Redmann 2019 

„Der Missionar“, Collage auf Papier, Ronja Katz 2019 

Es ist verbrecherisch zu nennen, dass im Mutterland der modernen Demokratie die Urbevölkerung vom Gleichheitsprinzip ausgeschlossen wurde. Nicht nur, dass die wirtschaftliche Entwicklung gehemmt wurde, was zum Ausschluss an der Wohlstandsteilhabe führte, sondern dass die Absonderung in Reservationen einer Apartheit gleichkam, muss erkannt und benannt werden. Als Freunde der Amerikaner, die uns Deutsche und ganz Europa vom Nationalsozialismus befreit haben, sind wir geradezu verpflichtet, Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit für alle Menschen einzufordern – gerade in den USA. Doch es ist nicht nur die gemeinsame Geschichte im 20. Jahrhundert, die uns miteinander verbindet. Es sind ebenfalls die grundlegenden christlichen Werte, auf die sowohl unsere, als auch ihre Kultur gegründet wurde. Diese kulminieren bekanntlich im jesuanischen Doppelgebot der Liebe und sind unvereinbar mit Ausgrenzung, Hass und Gewalt, wie auch Chivington hätte wissen müssen…

„Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit“, Triptychon mit Filmstill auf Papier, Klasse 9Ga 2019 

 

„Du sollst nicht töten…“, Foto und Filzstift, Janne Meyer 2019 

„Warum?“, Foto und Filzstift, Ida Frerichs 2019 

Die Präsentation zum Massaker von Sand Creek beinhaltet politische Kunstwerke und Plakate, die in Eigenregie hergestellt worden sind. Das zentrale Relief, die US-Flagge mit Patronenhülsen spielt auf die brutale Gewalt an, durch die die USA u.a. entstanden sind. Der Titel des Werkes steht im Kontrast zum s. g. „american dream“, der nicht für jeden Bewohner des US-Territoriums Realität werden konnte! In einer rein technischen Adaption einiger fotografischer Kunstwerke der exiliranischen Küstlerin Shirin Neshat, haben sich die Lernenden der aktuellen 9Ga an der Peter-Ustinov-Schule in die Opfer hineinversetzt und ihre eigenen Portraits mit essentiellen Botschaften christlicher und demokratischer Kultur versehen. Die Identifikation mit dem Leid der Cheyenne auf der einen Seite und mit der eigenen christlich-abendländischen Herkunftskultur auf der anderen Seite macht deutlich, wie schmal die trennende Linie zwischen Liebe und Hass sowie Leid und Glück ist. So werden die Aufarbeitung der schrecklichen Ereignisse am Sand Creek und ihre Präsentation zu einem überzeugenden Plädoyer gegen jede Form zwischenmenschlicher  Gewalt. Die Erinnerung an dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit soll helfen, die Verantwortung des Menschen gegenüber anders Denkenden und Lebenden als Pflicht zum Frieden zu erkennen!

„Macht euch die Erde untertan…“, Fotocollage mit L. Alfonso auf Papier , Sarah Boginski, Pinja Redmann 2019 

 

„Das Wiegenlied vom Totschlag“, Farbkopie und Filzstift auf Papier, Merle Rüschen 2019 

„Der Feind verfolgt meine Seele…“, Foto und Filzstift, Carina Scheitz 2019 

„Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“, Fotocollage auf Papier, Jonas , Ben 2019 

 

Text und Fotos: Dr. Joest Leopold

 

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