PAOLO PELLEGRIN – KRIEGSFOTOGRAFIE DER GEGENWART - Politik-WPK 9 in den Deichtorhallen

„Mutter, wozu hast du deinen aufgezogen?

Hast dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?

Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen,

und du hast ihm leise was erzählt?

Bis sie ihn dir weggenommen haben.

Für den Graben, Mutter, für den Graben.“

Tucholsky

Brennende Ölfelder im Irak, Schusswechsel zwischen verfeindeten Milizen im Libanon, Trauer in den Gesichtern Überlebender – wer kennt solche Bilder nicht? Auf der Grenze zwischen bildender Kunst und Dokumentation bewegt sich die Kriegsfotografie auf einem schmalen Pfad zwischen der Verneigung vor den Opfern und ihrer Entwürdigung. Die Opfer, die in erster Linie aus der Zivilbevölkerung stammen, sind die Protagonisten dieses Genres. Nur wenigen Fotografen gelingt es, die Abgründe des Voyeurismus zu meiden und mit ihrer Arbeit die Seelen Außenstehender zu berühren. Der italienische Magnum-Fotograf Pellegrin, mit zehn ‚World Press Photo Awards‘ einer der profiliertesten Akteure auf dem Feld der Kriegsfotografie, verursacht mit seinen Aufnahmen das wohldosierte Unbehagen in den Betrachtern, das eine kritische Stellungnahme zum Thema Krieg evoziert. 

Die Lernenden des Politik-WPK 9 an der Peter-Ustinov-Schule konnten sich am 18. Februar genau davon in den Hamburger Deichtorhallen überzeugen. Ob Kriegsgefangene, Trauernde oder Getötete – stets war der fotografische Blick Pellegrins auf sie menschlich.

Der größten deutschen Ausstellungsinstitution für Fotografie war es gelungen, eine umfangreiche Werkschau des Italieners für ein Vierteljahr nach Hamburg zu holen, um seine Arbeit auch seitens des Kunstbetriebs zu würdigen. Über 250 Aufnahmen konnten in der alten Jugendstilmarkthalle entdeckt und studiert werden. Weil Krieg bekanntlich immer die schlechtesten Eigenschaften des Menschen verstärkt, kann nicht oft genug auf die humanitären Katastrophen und die kulturellen Desaster hingewiesen werden, um die Demokratie zu stärken, deren „Waffen“ Respekt, Toleranz und Gemeinschaft das gesamtgesellschaftliche Geschehen prägen sollen. So stellt das Studium von Pellegrins Bildern einen Einstieg in die Diskussion über die Sinnlosigkeit des Krieges dar und fördert die soziale Kompetenzbildung. Entsprechend der Grundhaltung Sir Peter Ustinovs, des Namengebers unserer Schule, stehen Friedenserziehung und Völkerverständigung als Leitideen an der Basis unserer Unterrichtskonzepte. Der Besuch der Hamburger Exposition kann deshalb auch als pädagogischer Weg in Ustinovs Sinn gesehen werden und als Baustein für ein friedliches Miteinander in der multikulturellen Welt gewertet werden. Als Europa-Schule ist uns gerade am Aufbau Völker und Kulturen verbindender Netzwerke gelegen und nicht an deren Verhinderung durch die ideologische Konfrontation. So haben Ausgrenzung und Gewalt an unserer „Schule ohne Rassismus“ keinen Platz und werden mit Überzeugung abgelehnt.  Um diesem Weg gerecht zu werden, um unser hohes Ziel der Friedenserziehung konsequent verfolgen zu können, bedarf es der lehrreichen Begegnung mit den interkulturellen Tragödien, die aus Brutalität und Hass entstehen, sodass wir uns bewusst dagegen entscheiden können. Der Besuch der Ausstellung in Hamburg gehört zu den übergeordneten interdisziplinären Inhalten von Unterricht und Schulleben und hilft, emotionale Kompetenzen anzuregen und bestenfalls sogar auszubauen, damit kommenden Generationen von Müttern der Verlust ihrer Kinder nicht mehr bevorstehen muss. 

Mit unseren äußeren Augen stellen wir die Verbindung zwischen uns und dem Gegenüber, in diesem Fall dem Kriegsopfer, her und lassen uns emotional auf sein Leid ein, das von unseren inneren Augen erkannt wird und ein Gefühl des Mit-Leidens hervorruft. Die direkte Begegnung mit den Kunstwerken einerseits und die technische Vergrößerung der Bilder zu gigantischen Drucken andererseits bewirkt bei den Betrachtern eine wahrzunehmende Überwältigung durch das fremde Leid. Eine solche emotionale Überforderung der Lernenden kann als ein Schritt auf dem Weg zur zukünftigen Kriegsvermeidung durch Überzeugung angesehen werden. Es gilt daher, diesen Weg konsequent zu verfolgen und junge Menschen immer wieder in Kontakt mit aufrüttelnden Ausstellungen dieser Art zu bringen!

Bedenken wir, dass das abendländische Europa die Jahrtausende alte Heimat des ursprünglich friedliebenden und empathisch ausgerichteten Christentums ist, so bleibt uns nur, der Verpflichtung zum Frieden endlich auf allen Ebenen gerecht zu werden. Zwar war Gandhis Eindruck, dass der genuin christliche Westen, angesichts zahlreicher verheerender Kriege, gar nicht so christlich sei, verblüffend richtig; doch gerade deshalb muss es unseren Kulturen heute ein Anliegen sein, den Idealzustand zu erreichen und endlich die Kriegsmaschinerie zu stoppen. Die Kriegsfotografie Pellegrins gibt den Protesten Friedliebender einen mahnenden Ausdruck und fordert uns auf, von Anfang an Krieg und seine Begleiterscheinungen zu vermeiden. Das viel gescholtene Abendland trägt dabei wegen seiner Geschichte und wegen der gegenwärtigen Waffenexporte eine große politische Verantwortung, der es z.B. durch die konsequente Friedenserziehung in den Schulen begegnen will.

Schon Peter Ustinov, der auch der späten gesamtdeutschen Friedensbewegung nahestand, setzte sich für die Überwindung von zwischenmenschlichen und interkulturellen Grenzen ein. Bildung spielt dabei selbstverständlich eine herausragende Rolle. Wer von Anfang an lernt, dass alle Menschen gleich sind, der kann den demokratischen Zielen unserer Verfassung gerecht werden: „Die Akzeptanz der Unterschiede ist Voraussetzung für die Überraschung von Gemeinsamkeiten.“(Ustinov)

„Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde…“(Offb 21,1)

Fotos und Text: Dr. Joest Leopold

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